Spreche ich mit Kolleg*innen über die Arbeit mit hochstrittigen Eltern, spüre ich regelmäßig die große Belastung, die die Arbeit mit diesem Klientel mit sich bringt. Fast niemand hat gern mit ihnen zu tun. Entsetzen über das Verhalten mancher Eltern gegenüber den Berater*innen, vor allem aber ihren eigenen Kindern gegenüber, ist eine regelmäßige Begleiterscheinung dieser Gespräche. Moralisierende Urteile oder eindeutige Schuldzuweisungen sind mehr oder weniger funktionierende Entlastungsstrategien, weil sie eine verwirrende (Konflikt-) Realität simplifizieren helfen. Nur dass sie leider für die Arbeit in hoch eskalierten Elternkonflikten wenig hilfreich ist.
In diesem Blog werde ich immer wieder Beiträge zu hocheskalierten Elternkonflikten – oder auch Hochstrittigkeit – veröffentlichen. Im Idealfall entsteht so eine Art Orientierungskarte, die Ihnen in der Arbeit mit diesen Eltern und ihren Kindern hilfreich ist. Dabei werden die Erfahrungen, die ich in mittlerweile fast 11 Jahren in der Arbeit mit diesem Klientel sammeln konnte, ebenso mit einfließen wie auch die, von denen mir Kolleg*innen in unzähligen Gesprächen berichtet haben. Last but not least werde ich auf Literatur verweisen, die ich als bereichernd und hilfreich kennengelernt habe.
Im folgenden werde ich Ihnen eine (vorläufige) Übersicht der Inhalte geben, die ich in den kommenden Monaten behandeln möchte. Für Anregungen zu weiteren Inhalten bin ich dankbar und offen.
Hoch eskalierte Elternkonflikte unterscheiden sich durch eine Reihe von äußeren und inneren Merkmalen von anderen Trennungskonflikten. Sie wirken sich anders auf die beteiligte Umwelt aus und beziehen diese auch anders mit ein. Sie haben – zunächst – andere Ziele, als sie in – ich nenne sie ratsuchende – Beratungen in der Regel formuliert werden, da sie gemeinsame Lösungen und Kompromissfindungen nicht vorsehen. Dabei gibt es verschiedene, identifizierbare Eskalationsniveaus. In Anlehnung an Friedrich Glasl hat Uli Alberstötter dazu ein 3-Stufen-Modell entwickelt.
Ein sehr komplexes Feld ist die Frage, wie Hochsttrittigkeit entsteht. Diese Frage zielt auf äußere, gesellschaftliche Entwicklungen, wie etwa Änderungen im Familienrecht, aber auch auf die Konfliktdynamik des Paares, die letztendlich zur Trennung führten und den Weg in die Hochstrittigkeit bereitet hat. Auch soll der Frage, welche individuellen Faktoren einen hoch eskalierten Elternkonflikt begünstigen, nachgegangen werden.
Die Beratungen von hochstrittigen Eltern unterscheiden sich von den meisten anderen Beratungen im Rahmen einer Erziehungsberatungsstelle vor allem dadurch, dass sie in einem Zwangskontext stattfinden. Sie werden von den beteiligten Jugendämtern oder Familiengerichten überwiesen („geschickt“), und als Berater*in kann man davon ausgehen, dass mindestens ein Elternteil an einer solchen Beratung nicht teilnehmen möchte. Und wenn doch, dann nur, um – im Sinne einer Allianzbildung – mit der Berater*in gegen die ex-Partner*in ins (Schlacht-)Feld zu ziehen. Daraus ergeben sich Konsequenzen, was das Beratungssetting, aber auch die Ausbildung und persönliche Eignung der Berater*in betrifft. Diese Punkte sollen beleuchtet werden.
Die beteiligten Kinder von hoch eskalierten Elternkonflikten haben unter den Auseinandersetzungen ihrer Eltern nach der vollzogener Trennung noch einmal ganz anders zu leiden als die Kinder der Eltern, deren Konfliktintensität nach der Trennung nach und nach wieder abnimmt. Diese Eltern können dann wieder eine Form von Kooperation aufnehmen, die um die Bedeutung des anderen Elternteils für eine gelingende Entwicklung des Kindes weiß. In einem solchen Fall bleibt die Familie sozusagen erhalten, auch wenn die Eltern sich getrennt haben. So kann der Loyalitätskonflikt, in dem sich so gut wie alle diese Kinder befinden, abgemildert und vielleicht sogar ganz aufgelöst werden. Für die Kinder hochstrittiger Elternpaare ist das nicht möglich, im Gegenteil. Durch den sich nicht mildernden Konflikt zwischen ihren Eltern werden sie in ihrem Loyalitätskonflikt geradezu fixiert. Um daran nicht zu zerbrechen, wählen Kinder häufig die Umgangsverweigerung. Sie kann als ein Versuch verstanden werden, sich von dem übermäßigen Druck zu befreien und wenigstens einen von beiden Elternteilen behalten zu können. Oder sie werden zum Symptomträger: Schulverweigerung, aggressives und/oder depressives Verhalten können die Folge sein. Die Flucht in ein solches Verhalten stellt eine dysfunktionale Entlastungsstrategie dar, vielleicht in der verzweifelten Hoffnung. die Aufmerksamkeit beider Eltern auf sich zu ziehen und die Eltern als Eltern wieder zusammen zu bringen.
Aus dem hier kurz skizzierten wird ersichtlich, wie ungeheuer wichtig es für diese Kinder ist, in der Arbeit mit hochstrittigen Eltern ausreichend berücksichtigt zu werden. Mit zugewandten, neutralen Erwachsenen sprechen zu können, die ihre Wünsche, Bedürfnisse, Sorgen und Ängste wahrnehmen und ernst nehmen, ist eine Erfahrung für diese Kinder, die sich auf deren weiteren Lebensweg als sehr wertvoll erweisen könnte. Mich überraschen viele diese Kinder immer wieder mit ihrer Offenheit, mit der sie von sich und ihren Eltern berichten.
In vielen extremen Fällen der Hochstrittigkeit geht es ab einem gewissen Punkt der Beratung nur noch um Schadensbegrenzung – und zwar für die Kinder. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Unterstützungsformen zu installieren, die dann im weiteren Verlauf seines Lebens als Resilienzfaktoren wirksam werden können.
Selbstverständlich decken sich die Möglichkeiten, mit welcher Technik während einer Beratung interveniert werden kann, zum Teil mit den Techniken, wie man sie während einer entsprechenden Beratungs- oder Mediationsweiterbildung vermittelt bekommt. Die Wahl der Technik nach Wahl kann sich am 3-Stufen-Modell nach Uli Alberstötter orientieren. Grundsätzlich aber müssen die Berater*innen, die sich im Feld der hoch eskalierten Elternkonflikte bewegen, viel stärker strukturierend wirken. Das ist in der Folge dann ein ganz anderes Arbeiten, als es in (ratsuchenden) Beratungen möglich ist.
Insbesondere aus der Not dieser Kinder entsteht häufig ein besonderer Druck für die Berater*in, „erfolgreich“ in der Beratung zu sein, d.h. mit den Eltern zusammen zu erreichen, dass der Konflikt befriedet wird und die Kinder dadurch entlastet werden. Dieses Ziel kann in den Beratungen, in der die hocheskalierten Elternkonflikte stattfinden, häufig nicht erreicht werden. Dies stellt für die Berater*in eine enorme Belastung dar, die sich in Selbstzweifeln bis hin zu Gefühlen des Versagens und dem Nicht-Erleben von Selbstwirksamkeit äußert. Der Weg in den Burn-Out und in die Langzeiterkrankung ist häufig ein langer und zerstörerischer, denn das Bedürfnis, vor allem den Kindern helfen zu wollen, hat so manche Berater*in weit über ihre Belastungsgrenzen gehen lassen. Der Preis ist enorm hoch. Übrigens auch für die beteiligten Institutionen.
Das führt mich zu den Voraussetzungen, die die Träger für ihre Berater*innen idealerweise bereitstellen sollten, um diesen ein langfristiges Arbeiten in diesem Bereich zu ermöglichen. Die Arbeit mit hochstrittigen Elternpaaren stellt nämlich nicht nur an die Berater*innen höchste Anforderungen, sondern auch an die Träger, bei denen sie angestellt sind. Ein funktionierendes, die Berater*in aber schützendes Beschwerdemanagement gehört genauso dazu wie regelmäßige Supervision und Fallberatung. Die sich daraus ergebenden Forderungen in Zeiten der knapp gehaltenen Ressourcen für den sozialen Bereich mögen zwar illusorisch sein. Es führt aber nicht an der Tatsache vorbei, dass die Arbeit in hoch eskalierten Elternkonflikten aufwendig und damit teuer ist.
Ich möchte diesen Blog nicht als Einbahnstraße verstanden wissen, in der mein Wissen und meine Erfahrung fließt; vielmehr als eine gut ausgebaute Autobahn, auf der alle Arten von Fahrzeugen sich hin- und herbewegen. Ich freue mich auf Ihre Fragen, Anregungen und Kritik. Ich nutze sie gerne als Diskussionsgrundlage sowie zur Erweiterung und Vertiefung des Verständnisses.